(No) Return
Survived Buildings and Lost Lives
Eine Ausstellung von Myroslava Liakhovych in Zusammenarbeit mit Pan Hu und Meghan Rolvien
11. April–17. Mai 2024
gta Ausstellungen, Foyer, ETH Zürich, Hönggerberg
Eröffnung: 10. April 2024, 18 Uhr, Begrüssung durch Myroslava Liakhovych zusammen mit Laurent Stalder, Daria Ozhyhanova, Orkun Kasap, Pan Hu und Meghan Rolvien, sowie Fredi Fischli und Niels Olsen
Führung durch die Ausstellung Beverly Buchanan. I Broke the House um 17 Uhr
„Die Städte überleben Völker, denen sie ihre Existenz verdanken, und Sprachen, in denen ihre Baumeister sich verständigt haben.“
Aus Lemberg: Die Stadt, 1924, Joseph Roth,geboren in Brody (heute Region Lwiw, Ukraine)
Die Architektur der Zwischenkriegsmoderne verkörperte Vorstellungen von einem besseren Leben, das man nach dem Ersten Weltkrieg erwartet hatte, vor allem in den neugeborenen Staaten in Mittelosteuropa wie der 1918 gegründeten Zweiten Polnischen Republik. Lwów, eine Stadt im östlichen polnischen Grenzgebiet (die heutige ukrainische Stadt Lwiw, auch Lemberg genannt), war das Zentrum avantgardistischer Experimente, die internationalen Stil und lokale architektonische Ansätze miteinander verbanden. In den 1920er und 1930er Jahren suchte die multiethnische Gemeinschaft der Stadt nach Ausdrucksmöglichkeiten und versuchte, durch moderne Architektur zu einer Einheit zu finden und traditionelle Lebensweisen hinter sich zu lassen. Zahlreiche architektonische Projekte – Bürogebäude, Schulen, Krankenhäuser und Wohnungsbau – nahmen dabei nacheinander in der Stadt Gestalt an. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre änderte sich die Lage jedoch dramatisch, als Europa in den Abgrund von Faschismus, Totalitarismus und Antisemitismus abrutschte und ein weiterer Weltkrieg drohte. Die Menschen gingen zur Arbeit und kehrten in ihre komfortablen modernen Häuser zurück, in Befürchtung einer Katastrophe, die im September 1939 ausbrach, als nach dem Überfall Deutschlands auf Polen die Sowjetunion Lemberg besetzte. Fast alle, die in den modernen Häusern lebten, wurden gezwungen, diese zu verlassen, und in den schlimmsten Fällen nach Sibirien deportiert. Der Traum von einer komfortablen und glücklichen Zukunft fand ein jähes Ende. Nach dem Krieg hatte die Stadt 90 Prozent ihrer Bevölkerung verloren: Die polnische Bevölkerung war umgesiedelt, die jüdische Bevölkerung von den Nationalsozialisten umgebracht und die ukrainische Bevölkerung deportiert oder von den Sowjets getötet worden. Nur die Gebäude blieben unangetastet und verbargen in ihren Mauern die Namen und Geschichten der verlorenen Menschen. Neben tragischen Ereignissen haben auch der Wandel vom Kommerziellen zum Kommunalen, vom Privaten zum Öffentlichen sowie die Änderungen der politischen Systeme und der Eigentumsverhältnisse ihre Spuren in dieser Architektur hinterlassen.
Als ich die modernen Bauten von Lwiw erforschte, fragte ich mich, wie sich all diese Menschen fühlten, die ihr Zuhause verlassen mussten und nie wieder zurückkamen; ich fragte mich, wie es ist, in der eigenen Wohnung oder im eigenen Büro getötet zu werden. Im Februar 2022 habe ich es verstanden. Die Geschichte wiederholte sich: Bombenalarm, Angriffe, Todesangst und Vertreibung brachen nach fast einem Jahrhundert wieder über Lwiw herein. Die Geschichten von Tod, Deportation und Flucht sind nun die Geschichten meiner Mitmenschen und meine.
Die Ausstellung zeigt 3D-Modelle von drei Gebäuden: einem Bürohochhaus, einem Wohnkomplex und einer Villa, die zugleich Orte des Wohnens und des Verlustes sind. Jedes von ihnen birgt schöne moderne Formen, Schichten der Zeiten und Geschichten über Vergangenheit und Gegenwart. Filme ermöglichen es uns, durch die Gebäude zu gehen, Details zu betrachten und sogar die Geräusche der Gebäude und ihrer Umgebung zu hören. Diese virtuellen Räume können wir so oft besuchen, wie wir wollen, und können doch nie wirklich nach Hause zurückkehren. Die Geschichte mag sich im Kreis drehen, und Namen und Erzählungen mögen aus der Vergessenheit zurückkehren, doch unser vorheriges Leben wurde gestohlen, selbst wenn die Gebäude noch stehen.
Credits
Die Ausstellung (No) Return. Survived Buildings and Lost Lives beruht auf den Ergebnissen des Projekts Saving Objects and Stories of the Modernist Period in Ukraine, das von der ETH Zürich unterstützt wurde. Das Projekt wurde von Mai bis Dezember 2023 an der Professur für Architekturtheorie der ETH Zürich durchgeführt und hatte zum Ziel, das architektonische Erbe der Moderne in der ukrainischen Stadt Lwiw zu erfassen und zu dokumentieren. Im Rahmen des Projekts wurden fünf repräsentative modernistische Gebäude in Lwiw ausgewählt, erforscht und gescannt. Das Projekt wurde von Myroslava Liakhovych geleitet, derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur und Gründerin der Forschungsplattform Lviv: Architecture of Modernism. Betreut wurde es von Prof. Dr. Laurent Stalder (Professur für Architekturtheorie). Die Dokumentation des baulichen Erbes in Lwiw wurde als Sommerschule für Architekturstudierende in Kooperation mit der Kharkiv School of Architecture (derzeit in Lwiw, Ukraine) konzipiert und unterrichtet von Orkun Kasap (Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege, ETH Zürich) und Louis Vandenabeele (Professur für Bauforschung und Konstruktionsgeschichte, ETH Zürich). Finanziell unterstützt wurde die Sommerschule von der Schulleitung der ETH, dem Departement für Architektur und der Professur für Architekturtheorie (gta).
Der wichtigste Industriepartner ist SKEIRON 3D Scanning (Lwiw, Ukraine). Das Scannen der Gebäude wurde von Daria Ozhyhanova (Kharkiv School of Architecture) koordiniert. Die Gebäude wurden von Fedir Ilkiv, Eugenii Kalchuk, Yurij Prepodobnyj, Maksym Oholiev, Yana Kostiusheva (SKEIRON) und Aniskina Anastasiia, Haiboniuk Mariia gescannt und verarbeitet, sowie von Holts Sofiia, Lushchyk Eleonora, Marchenko Yeshaiahu-Paulina, Maria Murai, Oleksandr Holovashkin, Georgij Maksymenko, Oleksandr Podolskyj und Oizer Ilia (Kharkiv School of Architecture).
Dank
Myroslava Liakhovych richtet ihren aufrichtigsten Dank an ihre Kooperationspartnerinnen und -partner: Dem Center for Urban History of East Central Europe (Lwiw, Ukraine) für die Bereitstellung von Archivmaterial, dem Lviv Heritage Bureau für die Unterstützung beim Scannen vor Ort, Andrii Bondarenko (House of Sound, Lwiw, Ukraine) für die Aufnahme der Klanglandschaft, Orkun Kasap (Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege, ETH Zürich) und Louis Vandenabeele (Professur für Bauforschung und Konstruktionsgeschichte, ETH Zürich) für die Organisation des Trainings in Zürich für Studierende. Der Dank richtet sich auch an das Team von gta Ausstellungen: Elena Bally, Fredi Fischli, Mina Hava, Noé Lafranchi, Niels Olsen, Olin Petzold, Sabine Sarwa und Daniel Sommer.